le chien ne va plus, 2006


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bericht in briefform an gerald raunig, der nachfragte, wie die aktion verlaufen sei.

hamburg, 10.juli 2006


lieber gerald,

du wolltest über die performance informiert werden. ich nehme deinen wunsch als anlass, eine nachbetrachtung anzustellen sowie eine einschätzung zu beginnen. und ich schicke diese mail noch an einige andere leute, die dabei waren, mit der bitte doch auch ihre eindrücke und einschätzungen beizutragen.

das einkaufszentrum war am frühen freitagabend gut besucht. (wie ich in erfahrung gebracht habe, geniessen die leute bei der sommerlichen hitze die klimatisierte umgebung.) an dem eingang, den wir genommen haben, hatten sich auch die eingeladenen besucher aus der kunstszene versammelt. die übliche klientel des einkaufszentrums sind bewohner von hamburg-harburg, einem traditionellen arbeiter-(vor)ort, in dem jetzt viele türkische familien und andere migrantInnen leben. unmittelbar nach betreten kamen die ersten kommentare und reaktionen der passanten: ungläubiges staunen, kopfschütteln, tätscheln des hundes, kleinere grüppchen zogen sich zusammen, einige, meist jugendliche folgten uns auf dem gesamten weg.

ich ging relativ langsam und entspannt und betrachtete die schaufenster. interaktion mit meinem hund hatte ich wenig. manchmal antwortete ich auf fragen der passanten, gab aber keine erklärungen über die aktion ab.

da wir foto- und filmkameras dabei hatten, um die aktion zu dokumentieren, haben viele passanten sofort "film" oder "reality tv" als interpreation der situation parat gehabt. dieses erklärungsmuster hat es ihnen ermöglicht, sich die verunsicherung vom leib zu halten. es kamen häufig fragen, ob und wann man die aufnahmen im fernsehen sehen könne. eine andere, mehrmals gestellte frage lautete, was denn das für eine kunst sei. diese frage impliziert, es sei kunst. wie kunst-unbelastete passanten (meine annahme) zu dieser einschätzung kommen, ist mir nicht klar. vielleicht schlossen sie das aus der räumlichen nähe zu phoenix art (der falckenberg-sammlung next door), oder es hat einfach jemand das gerücht gestreut, es handle sich um eine "kunstaktion". sicherlich haben wir mit der aktion in dieser umgebung viele ressentiments gegen kunst bestätigt, wobei gleichzeitig das label "kunst" eine persönliche betroffenheit abwehren hilft.

etwas wirklich frappierendes war die tatsache, dass mindestens 50% der passanten sofort entweder ihr handy zückten, um foto- oder videoaufnahmen zu machen oder manche sogar ihre digicam aus der tasche zogen. diejenigen betrachter, die sich nicht durch die einordnung als "fernsehen" oder "kunst" in sicherheit bringen konnten, haben dies geschafft, indem sie zwischen sich und die verunsichernde situation ein gerät gehalten haben, das für sie geschaut hat.

die ganze aktion ging etwa knapp 40 minuten, wobei wir am ende das einkaufszentrum verlassen haben und die aktion auf der straße in richtung phoenix art gehend fortgesetzt haben. dies hat den charakter nochmal deutlich verändert. vorbeifahrende autos und bauarbeiter beim feierabendbier vor der kneipe, verschleierte frauen mit kinderwagen, die die straßenseite gewechselt haben, empfand ich als konstrastreicher und härter als die etwas abgedämpfte stimmung des nicht-öffentlichen raumes einkaufszentrum.

publikumsreakionen:
- es gab keine gewalttätigen übergriffe, was ich zumindest für möglich gehalten hatte. der hund ist mehrmals gestreichelt worden, eine frau hat einen tritt angedeutet.
- kommentare: "looser", "weichei", "Was hat er angestellt, dass er so bestraft wird", "ist das ein echter hund?", "ist das echt?", "was ist das für eine  kunst?", "kommt das im fernsehen" etc.
- gegen ende der aktion hatten zwei jungen, ca. 9 und 12 jahre alt, sich so weit in den hund eingefühlt, dass sie hinter diesem her, ebenfalls auf allen vierten gingen.
- ansonsten kann ich reaktionen nicht wirklich kategorisieren, hatte aber den eindruck, dass es in den köpfen von mädchen und jungen frauen am meisten gearbeitet hat. (vielleicht auch mein wunschgedanke)

erfahrung einer grenze:
wir beendeten die aktion beim eingang zu phoenix art. die zuschauer hatten nun die möglichkeit, die weibel-retrospektive in den räumen anzusehen. der wachmann am tor sortierte allerdings alle aus, die nicht nach kunst-publikum aussahen und verweigerte ihnen den eintritt (meist türkische, jugendliche und kinder aus der harburger nachbarschaft). das war jedenfalls eine ganz unerwartete grenzerfahrung.

überlegungen:
- sm-techniken sind heute weiter verbreitet, präsenter und akzeptierter in breiten bevölkerungsschichten, was eine mögliche erklärung dafür sein könnte, dass die dargestellte situation weniger bestürzung auslöste als 1969.
- das publikum ist an ungewöhnliche werbe- und marketingaktionen gewöhnt. die aktion hätte durchaus auch eine werbung für das einkaufszentrum, einen neuen sex-store, einen pet shop oder irgend eine lifestyle-zeitschrift gewesen sein können
- von zwei seiten bin ich auf das bild der gefreiten der us-army lynndie england hingewiesen worden. zur erinnerung: sie führte einen irakischen gefangenen nakt an der leine. "offenbar hat sie ohne kenntnis des feministischen vorbilds, die performance vor zwei jahren in abu ghraib im rahmen der amerikanischen Kriegsführung aktualisiert" (eberhard ortland, philosoph, berlin).
siehe dazu: http://www.sueddeutsche.de/ausland/artikel/329/52277/

mir ist nochmal sehr deutlich geworden, welchen unterschied die erfahrung der wiederhlung zum reinen konzept der wiederholung darstellt. diese erfahrung hatte ich bereits in paris, als ich heimlich die aufnahmen für das remake von "les approches" gemacht habe. sich aussetzen, dem was da auf einen zukommt bzw. dem, worauf man zugeht!

und doch: ich hatte mit mehr aggression als ausdruck von verunsicherung gerechnet und habe im nachhinein das gefühl, nicht nur durch die durch medien veränderte wahrnehmung der realität, sondern auch durch das konzept der wiederholung, die historische referenz, die anwesenden kameras und das auch anwesende kunstpublikum mich in einem relativ gesicherten raum bewegt zu haben.

zu meinem vorhaben, durch die wiederholung der aktion eine aussage über die bestehenden geschlechter-verhältnisse herzustellen, werde ich so schnell nichts sagen können, habe aber den eindruck, dass der event-charakter der aktion den inhalt etwas in den hintergrund gedrängt hat: spektakel mit kameras wird grundsätzlich positiv aufgenommen.

ich würde mich über feed-back sehr freuen.

best, cornelia

p.s. frau export hat sich inzwischen bei mir darüber beschwert, dass ich sie nicht informiert habe. da ich die aktion unabhängig von ihrer meinung machen wollte, habe ich sie nicht vorher kontaktiert, habe aber natürlich interesse daran, mich mit ihr auseinader zu setzen. mal sehen, ob noch was kommt von ihr. ich habe ihr auf jeden fall sehr freundlich geantwortet.

p.s. die ersten bilder sind auf artwarez.org
re-visiting feminist art

trouble shooting

spring in paris
artwarez