KEEP ON GENERATING

Über Cornelia Sollfranks multiple Autorschaften *

Jacob Lillemose
“A smart artist makes the machine do the work.” Cornelia Sollfrank (2003)

“The idea is the machine that makes the art.” Sol Le Witt (1970)

“I’d like to be a machine, wouldn’t you?” Andy Warhol (1963)

Lassen Sie mich zuerst etwas klarstellen. Oder vielmehr auf eine grundsätzliche Ambiguität hinweisen. Der erste Teil des Titels stammt nicht von mir. Weder ich noch Cornelia Sollfrank haben ihn uns ausgedacht; es war ein Freund von ihr, der eine E-Mail mit dem Satz »Keep on Generating« signierte(1), und Cornelia hatte die Idee, ihn als Titel für diesen Text zu benutzen, den Text also mit einer Handlungsanweisung einzuleiten. Diese kleine Anekdote und Formalie überhaupt zu erwähnen, wäre ziemlich unnötig, wenn es bei dem zur Diskussion stehenden Kunstwerk nicht genau um das Verwischen und Vermischen von Originalitäts- und Autorschaftskonzepten gehen würde. Das Spiel kann also beginnen!

Cornelia Sollfranks net.art generator (seit 1999) begann als Online Software Tool, aber das Projekt hat sich inzwischen auf so unterschiedliche Medien wie Video, Animation, Performance, Drucke und Malerei erweitert. Im Lauf der Jahre ist daraus einer der komplexesten und faszinierendsten »Fluchtversuche« (»escape attempts« (2)) vor der kulturellen Logik der Autorschaft in der zeitgenössischen Kunst geworden. Jedoch geht Sollfrank noch über den 1967 von Roland Barthes verkündeten »Tod des Autors« hinaus. Anstatt einer »Leichenbeschauerin« handelt es sich bei ihr vielmehr um eine gewiefte »Geburtshelferin«, die sich in Kunst und Netzkultur daran macht, unsere vorgefassten Meinungen über Autorschaft und ihre steten Begleiter Leserin / Betrachterin, Originalität und geistiges Eigentum herauszufordern; sie führt uns aufs Glatteis.

JEDE IST EINE AUTORIN
Auf der Rückseite der Drucke, die Cornelia Sollfrank ausstellt, befindet sich ein kleiner gelber Sticker mit dem Aufdruck »This is not by me«.(3) Der Sticker dient als Signatur der vom Netzkunstgenerator generierten Bilder. Obwohl er nicht handgeschrieben und Massenware ist, kann man ihm eine gewisse Authentizität zuerkennen – und seine Aussage entspricht der Wahrheit. Wie der folgende Text aufzeigen wird, stammen die gedruckten Bilder tatsächlich nicht von ihr, und das als Signatur verwendete konzeptuelle Statement, das vorgibt, die tradierte Funktion der Signatur zu untergraben, ist die Methode, mit der sie ihre Ansprüche geltend macht. Das Statement »This is not by me« verortet die Drucke auf ziemlich trocken-humorvolle und gleichzeitig subtile Weise in einem Feld von Paradoxien und Doppeldeutigkeiten, in dem sich Sollfrank gern mit ihren Arbeiten bewegt. Von wem also, wenn nicht von ihr, stammen diese Bilder? Sicher ist nur, dass Sollfrank nicht an simplen Antworten auf derart vielschichtige Fragen von Identifikation oder Territorialisierung interessiert ist. Vielmehr benutzt sie diese Fragen als kritische und spielerische Möglichkeit, die Dinge offen zu halten und damit die Vorstellung von Kunst und Künstlerin für das Zeitalter der digitalen Reproduktion und Distribution zu erweitern.
Um die Komplexität der vermeintlich »einfachen« Frage nach der Autorschaft und des ästhetischen Konzepts, das sie impliziert, bewältigen zu können, müssen wir zuerst den net.art generator und seine Funktionsweise, aus der das offene Statement des Stickers resultiert, genauer betrachten.
Tatsächlich besteht der net.art generator nicht aus einem, sondern aus fünf Generatoren, die entsprechend ihrer chronologischen Reihenfolge von 1 bis 5 durchnummeriert sind.(4) Sie gehen indes alle auf dasselbe Grundkonzept zurück: Cornelia Sollfrank wählt eine Programmiererin und bittet sie, eine Software zu entwickeln, die den individuellen Userinnen die Möglichkeit gibt, einen Namen und einen Begriff einzugeben, den die Software als Suchbegriff für eine Websuche (mithilfe bestehender Suchmaschinen) auswertet. Der Generator nutzt die so zusammengestellten Informationen, um eine Collage der vorgefundenen Daten (Bilder, Texte oder Computercodes) zu generieren. Die einzelnen Collagen werden dann auf der Website des Generators archiviert und, wenn Sollfrank mit den Ergebnissen zufrieden ist, von ihr ausgedruckt, mit dem Sticker signiert, in einer Galerie oder einem Museum ausgestellt – und wenn möglich auch verkauft.(5) Klingt einfach, oder? Nun, das ist es auch, wenn man nur die Oberfläche betrachtet – sei es die des Computerbildschirms oder die der Hochglanz-Digitaldrucke. Zunächst einmal, und damit gelangen wir zu der oben gestellten Frage zurück, schließt der net.art generator mehrere Autorinnen ein: Das ist Sollfrank, die das Konzept entwickelt, dann folgen die Programmiererinnen, die das Konzept umsetzen, dann die Userinnen, die die Software »instruieren«, dann die eigentliche Software, die die Suche ausführt und die Collage erzeugt, und letztlich das World Wide Web, die dynamische Online- Datenbank, in der die Generatoren ihr Ausgangsmaterial finden. Es gibt keine festgelegte Hierarchie; jeder Anteil ist gleichermaßen wichtig. In gewisser Weise bleibt Sollfrank diejenige, die die Autorschaft für sich beansprucht, wenn sie die Arbeiten ausstellt und verkauft, doch ist diese Autorschaft nicht exklusiv. Jede Userin hat – theoretisch und praktisch – die gleiche Option. Sollfrank beansprucht kein Urheberrecht für die generierten Collagen. Wenn sie die Collagen in einem institutionellen Kontext ausstellt und verkauft, wird das Experiment mit der multiplen Autorschaft zu einer Erkundung der Parameter, die den Kunstbetrieb konstituieren (was glücklicherweise die Instrumentalisierung für ihren eigenen ökonomischen Nutzen nicht ausschließt). Das Konzept der singulären Autorschaft ist schließlich für den Kunstbetrieb wichtiger als für die Kunstwerke. Es ist der Betrieb, der auf einem identifizierbaren und wieder erkennbaren »Gesicht« beruht, das zum Markenzeichen werden kann, während die multiple Autorschaft des net. art generators sich dieser Vorstellung widersetzt. Hier gibt es nur ein Stück Software, Zeilen eines Codes, die in jedem Computer verarbeitet werden können, und die ganz offensichtlich kein eigenes Gesicht haben.
Das Phänomen der multiplen Autorschaft verbreitet sich zunehmend in der Kunst der Gegenwart, insbesondere im Bereich der digitalen Medienkunst. Allerdings beschäftigt sich der net.art generator nicht mit einer interdisziplinären, kollektiven oder kollaborativen Praxis. So verbindet er nicht etwa unterschiedliche Autorinnen in einem vereinenden Projekt. Programmiererinnen wie Userinnen können den net.art generator uneingeschränkt einsetzen, genau wie Sollfrank das auch tut. Anstatt multiple Autorschaft als eine »erweiterte« oder »ausgedehnte« Form der Autorschaft zu verstehen, nimmt der net.art generator den Begriff nahezu wörtlich: Das Projekt hat nicht einen, sondern mehrere Urheberinnen, die miteinander vernetzt und voneinander abhängig sind. Den net.art generator als eine Vielzahl von Projekten zu verstehen, erleichtert das Verständnis; die verschiedenen Elemente konstituieren kein »Gesamtkunstwerk«, sondern ein Netzwerk aus dynamischen und dezentralen Beziehungen zwischen mehreren Kunstwerken und mehreren Urheberinnen.
Indem der net.art generator die Rede von einer einzelnen Urheberin unmöglich und irrelevant werden lässt, verwandelt er die Frage »Wer ist der Autor?« in die Frage »Was ist ein Autor?« Und das entspricht genau dem Titel von Michel Foucaults berühmtem Vortrag von 1969, in dem er die Autorin – und implizit zugleich die Leserin – historisch als ein Konstrukt der westlichen Zivilisation mit ihrer Betonung des Individuums analysiert. Der Autor, so Foucault, »spielt eine bestimmte Rolle im Hinblick auf den narrativen Diskurs, er gewährleistet eine klassifikatorische Funktion, indem er es ermöglicht, Texte zu gruppieren, sie abzugrenzen und von anderen Gruppen zu unterscheiden.« (6) Diese klassifikatorische »Funktion des Autors« entspricht genau dem, was Sollfrank bewusst durch den net.art generator stören will. Sie ersetzt den Autor als »ideologische Figur«, die der »Bedeutungserweiterung« im Wege steht, durch ihr Projekt, das Bedeutungen erweitert und vervielfacht, um so den Diskurs der Autorin kritisch zu hinterfragen und im Idealfall einen neuen Diskurs zu etablieren, in dem die Autorin eine höchst ambivalente Figur darstellt und neue Wege künstlerischer Praxis möglich und relevant werden. Vielleicht ist dies der Diskurs, den Foucault im Sinn hatte, als er seinen Vortrag mit der Frage beendete: »Wen kümmert‘s, wer spricht?« (7) Auf jeden Fall ist das, was Sollfrank im Sinn hat und in ihren Arbeiten umsetzt, die Schaffung eines erweiterten Feldes für Praxis und Diskurs innerhalb dessen der Netzkunstgenerator nur ein kleiner Teil ist.

AUF IN DAS BILDERNETZWERK
Getreu der Signatur ist die Kunst eines anderen Künstlers das Leitmotiv des Projektes: Andy Warhols ikonische Blumendrucke, die er über einen Zeitraum von 30 Jahren bis hin zu seinem Tod im Jahre 1987 produzierte. Indem sie mehrfach »warhol flowers« in das Titelfeld des nag_05 eintippte, hat Sollfrank daraus eine endlose Reihe von digitalen Collagen generiert, von denen sie einige als Digital- oder Siebdrucke, Wandgemälde und Animationen im Galerieraum ausstellt.
Es ist kein Zufall, dass Sollfrank sich Warhol und seine Blumendrucke herausgegriffen hat. Zum einen basieren Warhols Drucke auf einem Foto von Patricia Caulfield, das er sich angeeignet hat, zum anderen ließ er die Drucke in der Regel von anderen fertigen, ohne während des Druckvorgangs selbst noch anwesend zu sein, und letztlich nutzte er, kurz vor seinem Tod, auch noch Amiga Computer, um Vorlagen für Digitaldrucke zu erstellen. Anders gesagt, Sollfrank macht mit den Möglichkeiten ihrer Zeit genau das Gleiche wie Warhol mit den Möglichkeiten der seinen; das erweitert und kompliziert den Fall noch zusätzlich. Doch anstatt die Bilder einfach nur zu verwenden und zu modifizieren, verlinkt sie die Bilder über digitale Informationsströme in dezentralen Netzwerken.
Und obwohl »Warhols« Bilder, sein Name und seine Person in den Werken Sollfranks präsent sind und sogar seine Anti-Signatur benutzt wird, ist es nicht Warhol, um den es in diesem Projekt geht. Stattdessen erkundet das Projekt This is not by me eine Bildproduktion und einen Diskurs, die durch ein dezentrales und disparates Netzwerk aus Komponenten generiert werden, die über jegliche Art von Autorin-Figur, sei es nun Warhol oder auch Sollfrank selbst, hinausweisen. Denn Sollfrank übt, obwohl sie dieses Netzwerk etabliert hat, doch keinerlei Kontrolle über seine Funktionsweise aus. Genau genommen hat niemand innerhalb des Netzwerks die vollständige Kontrolle. Daraus erschließt sich, dass Sollfrank sich nicht für eine individuelle Bildproduktion interessiert, sondern für die Erweiterung des Bildbegriffs in einer vernetzten Kultur.
Bereits Warhol stellte den individuellen Aspekt der Bildproduktion durch seine Verwendung von Siebdrucktechnik infrage, über die eine Reproduktion der Motive ad infinitum möglich wurde. Nichtsdestotrotz behielt Warhol letztlich die Kontrolle über den vollständigen Entstehungsprozess und signierte jedes seiner Bilder, ungeachtet dessen, wer es tatsächlich produziert hatte. Er perfektionierte seine Bildproduktionsmethode bis zum Grad einer Maschine, einer Maschine des Industriezeitalters allerdings, die sich nicht grundsätzlich von der in Fords Autofabrik unterschied, und deren reproduktive Logik und Effektivität von Warhol bewundert und romantisiert wurde. Sollfrank teilt weder Warhols Bewunderung noch romantische Ideen und stellt sich den Herausforderungen einer anderen Art von Maschine, einer zeitgemäßen: der vernetzten Maschine. Diese Maschine arbeitet ebenso effektiv wie die »stand alone« (eigenständige) Maschine, doch ist die Logik ihrer Bildproduktion eine gänzlich andere. Zunächst einmal werden die Bilder nicht nur (re)produziert, sondern generiert, und, was noch wichtiger ist, generiert durch einen Prozess und eine Struktur ohne jegliches Kontrollzentrum. Sollfranks vernetzte Maschine unterscheidet sich wesentlich von dem individuellen »Artist as Machine« (»Künstlerinals- Maschine«), wie es Warhol verkörpert: eine Künstlerin, die eine Maschine erfindet, die an ihrer Stelle die Kunst produziert. Die Logik der vernetzten Maschine reflektiert vielmehr, dass die Künstlerin ebenso wie die Maschine durch die Prozesse des Dialogs und des Austauschs in eine vernetzte Kultur der dezentralen und zusammen geschalteten Bildproduktion integriert sind. Die Maschine ist keine isolierte Entität und kann auch keiner einzelnen Entität zugeschrieben werden. Die vernetzte Maschine bildet – und wird selbst gebildet durch – dynamische Beziehungen, die jegliche Kategorisierung durchkreuzen.
Während Warhol noch von einer Tradition getrieben wurde, die das Bild ins Rampenlicht stellte, beschäftigt sich Sollfrank vorrangig mit der bildproduzierenden Maschine und mit dem Bild nur noch vermittels der Maschine. Es ist die praktische und konzeptionelle Funktionsweise der vernetzten Maschine, die die Bilder generiert, für die sich Sollfrank interessiert, nicht die tatsächlichen Bilder (auch wenn sie sie in ästhetischer Hinsicht interessant findet und sogar ausstellt). Im Zusammenhang mit dem net.art generator betrachtet, reflektieren die Bilder die Maschine; sie übermitteln ihre Funktionsweise und können nicht losgelöst von ihrer Entstehung gesehen werden. Ebenso wie die Maschine sind auch sie nicht eigenständig; sie sind vernetzt, durch die Geschichte der Kunst, durch das World Wide Web, durch die Algorithmen der Software und durch die menschliche Interaktion mit der Maschine. All die neu generierten Blumenbilder, die die Grundlage sind für die digitalen Drucke, Gemälde und Animationen, werden von ein und derselben vernetzten Maschine produziert. Und sie alle sind gleichwertig: kein Bild ist wichtiger, authentischer oder einzigartiger als irgendein anderes. Dennoch sind sie nicht identisch. Die vernetzte Maschine ist nicht für die althergebrachte Reproduktion vorgesehen. Wie oben ausgeführt, generiert sie, was soviel heißt wie: Jedes Bild ist eine Repetition aller vergangenen und zukünftigen Bildproduktion, eine Wiederholung – mit einem Unterschied. Das Netzwerk, das die Maschine in Gang setzt, verändert sich ständig und dies gilt entsprechend auch für die Bilder, die es generiert. Anders als Warhols Ansatz, bei dem die Originalität des einzelnen Bildes durch Serienproduktion infrage gestellt wurde, dekonstruiert der net.art generator Originalität, indem er das Bild als eine gänzlich anders geartete vernetzte Repetition auffasst. Kein Bild ist jemals originär im Sinne von Greenbergs Theorie der Moderne, ebenso wie kein Bild jemals in dem Sinne reproduzierbar ist, den die Moderne Benjamins oder die Postmoderne für die Ready- Made-Tradition reklamierte. Der net.art generator bringt eine Art von »Post-Postmoderne« zum Ausdruck, in der die Bilder längst nicht mehr das Problem darstellen. Das Bild ist der vernetzten Maschine, die das Bild generiert, untergeordnet, und diese Maschine bestimmt auch den Bildbegriff auf diskursiver Ebene. Umgekehrt füttern die generierten Bilder als materielle und visuelle Manifestation der Maschine den Diskurs über die und das Verständnis von der Maschine.

KOPIEREN ODER NICHT KOPIEREN – DAS IST HIER NICHT DIE FRAGE
Ein anderer wichtiger Aspekt des net.art generators von Cornelia Sollfrank und ihres Rückgriffs auf das Warholsche Blumenmotiv liegt in der Infragestellung des Urheberrechts. Dieses Infragestellen wird nicht nur durch die generierten Bilder formuliert. In dem Ausstellungsprojekt This is not by me werden die Bilder durch drei Videos ergänzt, die die Problemstellung auf die Ebene eines philosophischen, juristischen und ästhetischen Diskurses erweitern. Der bewusst trockene Dokumentarstil der Videos – mit Sollfrank selbst, vier Anwälten und Andy Warhol in den Hauptrollen – steht im Kontrast zur überschäumenden visuellen Energie der Bilder. Und doch können die Videos nicht von den Bildern getrennt gesehen werden und vice versa. Sie bilden sozusagen den Paratext für das jeweils andere Medium. Die Videos betonen die Tatsache, dass die Bilder keine echten visuellen Entitäten in der Tradition der Moderne darstellen, an die Warhol, all seiner Ironie zum Trotz, noch immer glaubte. Auch die vom net.art generator generierten Bilder sind – wie alle Bilder – von kulturellen Codes durchzogen. Warhol war sich dieser »Kodierung« von Bildern bewusst und spielte damit. Sollfrank ist sich dessen ebenso bewusst; es ist der Grund, weshalb sie Warhol heranzieht. Dadurch verlagert sie den Fokus der Wahrnehmung vom Bereich des Visuellen auf den Bereich des Konzeptuellen.(8) Der net.art generator zielt also darauf ab, nicht nur Bilder zu generieren, sondern auch einen Diskurs; einen Diskurs, der anders als bei Foucault nicht Macht ausübt, sondern im Namen künstlerischer Freiheit und Vorstellungskraft Macht in Frage stellt. Es ist insbesondere der Diskurs über Urheberrecht, Originalität und Autorschaft, in den Sollfrank mit ihrem Diskurs eingreift; genau den Diskurs also, der wesentlich war für den Modernismus und der sich in der Nachkriegszeit parallel zum Aufkommen einer neuen politischen und ökonomischen Kultur des Individualismus um die amerikanische Malerei und Bildhauerei entwickelte. Auf diese Version des Modernismus reagierte auch Warhol, mit der Bezugnahme auf andere Spielarten der Moderne, insbesondere der Avantgarde der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, einschließlich Konstruktivismus, Dadaismus und Duchamp.
Im Hinblick auf ihre spezifischen Annäherungen an das Urheberrecht zeigen die drei Videos deutliche Unterschiede. In Copyright © 2004 Cornelia Sollfrank (2004) sitzt die Künstlerin neben einem Monitor, der ein generiertes »Warhol-Flowers«- Bild zeigt. In schwarzem Rollkragenpullover und mit Brille gibt sie sich als moderne Intellektuelle. Sie liest und erörtert einen von ihr verfassten Text, dem das Video auch seinen Titel verdankt. Darin geht es um die Frage, wer die Urheberin des Bildes ist, wobei auch juristische Kommentare zu computergenerierten Kunstwerken sowie das Modell der Miturheberschaft erörtert werden. Der auf akribischen Recherchen beruhende Text kommt dabei zu dem Ergebnis, dass es unmöglich ist, eine einzige Urheberin des Bildes zu identifizieren, stattdessen finden sich fünf mögliche Urheberinnen, und die Frage nach der Autorschaft wird so in eine ambivalente und ungeklärte Angelegenheit transformiert. Die visuelle Kraft des Bildes wird durch eine konzeptuelle Komplexität unterminiert, die eine intensivere Beschäftigung mit dem Bild auf visueller und sprachlicher Ebene erzwingt – nicht zuletzt, wenn es zu Fragen des Urheberrechts kommt. Den Ursprung des Bildes auszumachen ist unmöglich; schon der Versuch wäre lächerlich. Das Bild wurde durch ein Netzwerk ohne Ursprung, Zentrum oder Identität generiert, und statt zu versuchen, es in den vorhandenen Diskurs zu zwängen, zeigt das Video die Grenzen dieses Diskurses auf. In Legal Perspective (2004)(9) führt Sollfrank dieses Infragestellen des Rechtssystems weiter, indem sie ihre Arbeit vier Urheberrechtsspezialisten vorführt und sie um eine Einschätzung bittet. Die Anwälte nähern sich dem generierten Blumenbild mit ihrem Handwerkszeug und kommen dabei bezüglich des rechtlichen Status zu sehr unterschiedlichen – teilweise sogar widersprüchlichen – Schlüssen. Insbesondere der aufscheinende Konflikt zwischen Urheberrecht auf der einen und Recht auf künstlerische Freiheit auf der anderen Seite – beide durch die deutsche Verfassung garantiert – zwingt sie zu einer Reflexionspause. Oder eher noch: Bringt das Rechtssystem dazu, die eigene konzeptuelle Paradoxie bzw. Absurdität zu hinterfragen.(10) Der net.art generator entlarvt so das Rechtssystem in seiner gegenwärtigen Form als unfähig, derartigen Werken gerecht zu werden. Das Kunstwerk überschreitet die Grenzen des Rechtssystems, indem es die Rationalität des Rechts mit der Ambiguität der Kunst außer Kraft setzt.
Welche Art von Diskurs notwendig ist, um sich mit dem net.art generator auseinander zu setzen, wird im dritten Video I DON‘T KNOW (1968/2006) angedeutet. Das Video besteht aus einem inszenierten Interview mit Andy Warhol, das Sollfrank aus Teilen alter Interviews mit dem Künstler zusammengestellt hat, die sie mit neuen Filmaufnahmen kombiniert. Sie spricht mit Warhol über seine künstlerischen Aneignungsstrategien, über sein Verständnis von Urheberrecht und geistigem Eigentum und stellt ihm den net.art generator vor sowie die von der Maschine bearbeiteten Warholschen Blumenbilder. Warhol beantwortet ihre sachkundigen (und suggestiven) Fragen zum Urheberrecht zumeist mit »Yes«, »No« oder »I don‘t know«. Sobald es allerdings um die Gretchen-Frage geht, nämlich, ob er die Bearbeitungen seiner Bilder durch den net.art generator zulässt, antwortet er schließlich zustimmend und macht so deutlich: Erlaubnis durch den Urheber erteilt. Sollfrank nutzt hier erneut eine künstlerische Methode, um das Rechtssystem zu überlisten und alle Rechte – wie es am Ende des Videos heißt – zumindest innerhalb des Kontextes des Kunstwerks aufzuheben.
Alle drei Videos behandeln die Probleme des Urheberrechts, ohne in eine moralistische Argumentation dafür oder dagegen zu verfallen. Anstatt schwarz oder weiß zu malen, erkunden sie die Grauzone, in der die Dinge zwischen dem Schutz des Urheberrechts auf der einen Seite und der Entfaltung der künstlerischen Freiheit auf der anderen oszillieren. Das verfassungsmäßige Rechtssystem kollidiert mit einem ästhetischen System. Darüber hinaus stehen die beiden Systeme für zwei unterschiedliche kulturelle Modelle: Im einen herrschen feststehende Werte, das andere besteht aus dynamischen Beziehungen. Sollfrank drückt ihre Haltung nicht explizit aus (wie der Titel ihres Projekts deutlich macht, ist dies nicht von ihr); implizit jedoch fordert sie uns auf, die Beziehung zwischen den beiden Systemen zu reflektieren und zu hinterfragen, welchen Einfluss diese Relation auf die Produktion von Kunst und Kultur hat. Dabei ist ihre Frage nicht die von »kopieren « oder »nicht kopieren«; vielmehr geht es darum, welche konzeptuellen Instrumentarien wir einsetzen, um das System – das juristische wie das kulturelle – zu verstehen und weiter zu entwickeln. Als konzeptionelles Instrument liefert der net.art generator keine Lösungen – schon gar nicht für die derzeitigen Probleme des Urheberrechts. Doch er ermuntert uns, uns analytisch und kritisch mittels des freien Spiels der Kunst mit den Systemen von Kunst und Recht auseinander zu setzen – mit all der Ironie, Irrationalität und Subtilität, die es zulässt – und ebenso mit all den Schwierigkeiten, die es nach sich ziehen kann.

DON’T JUST DO IT: GENERATE!
Durch die Wahl des Titels »Keep on Generating« für diesen Text lädt uns Sollfrank konkret ein, weiterhin ihr Tool zu benutzen; wir sollen weiter Bilder generieren, darüber diskutieren und dabei erkennen, dass dieses Tool nicht in erster Linie zum Herstellen spezifischer Objekte gedacht ist, sondern zum Generieren offener Prozesse. Nur indem wir uns von Objekten frei machen und uns aktiv auf Prozesse einlassen, können wir allmählich beginnen, Autorschaft, Originalität und Urheberrecht in einem erweiterten Sinn zu verstehen – konzeptuell wie praktisch –, was uns erlauben wird, eine neue Vorstellung von Kultur zu entwickeln, die bereichert sein wird durch die mannigfachen Möglichkeiten der digitalisierten und vernetzten Information.
Während also der Titel den Imperativ von Nike, die neoliberale Einladung an jedermann »Just Jacob Lillemose do it« anklingen lässt, impliziert der net.art generator eine die Regeln überschreitende Aktivität anderer Art – für seine Userinnen wie für die Kultur im allgemeinen. Es geht weder um die Herstellung wertvoller Objekte noch um die dadurch mögliche Selbstdarstellung oder Selbstverwirklichung. Tatsächlich sind es gerade die Vorstellungen von Produktion und Selbst, die Sollfranks Projekt bewusst und grundsätzlich stört und durch die Idee eines generativen Netzwerks ersetzt, das auf persönlichem Einsatz, Kollaboration und mechanischen Prozessen basiert. Obwohl es die Möglichkeit bietet, wunderschöne »Kunstwerke« zu schaffen, die man sich ins Wohnzimmer hängen kann, zielt der Gebrauch des net.art generators gerade auf ein Verlassen der schön dekorierten Privatsphäre und auf ein aktives Sich-Einbringen in das Netzwerk.
In diesem Sinne unterscheidet sich die Nutzerin des net.art generators auch von der Userin, die der aktuelle Web 2.0 Trend propagiert, der darauf abgezielt, die Userin zu einer unbezahlten Produzentin (von Inhalten) zu machen. Die Userin/ Produzentin des Web 2.0 hingegen kommt der Vorstellung von Nikes Slogan nahe. Es handelt sich dabei um ein affirmatives Individuum, das die herrschenden juristischen und ästhetischen Systeme nutzt (oder von ihnen benutzt wird), um sich auszudrücken und zu verwirklichen. (Dass dies den Firmen zugute kommt, die die Plattformen kontrollieren, sowie anderen Userinnen, die so Zugang zu den Inhalten finden, ist in diesem Fall zweitrangig.) Bei der Nutzerin des net.art generators liegt der Fall ganz anders. Erstens fordert die Userin das herrschende Urheberrecht heraus, zweitens betreibt sie weder Selbstdarstellung noch Selbstverwirklichung, denn, was auch immer sie produziert, es wird nicht von ihr sein. Das Ich auf diese Weise loszulassen, ist befremdlich und verstörend. Andererseits können wir nur durch einen radikalen Wandel des konzeptuellen Rahmens künstlerischen Schaffens und der Akzeptanz dieses Wandels zu einer Kultur jenseits des Wortlautes des Gesetzes aufbrechen; einer Kultur, in der unser Bedürfnis, Sinnhaftes zu generieren, durch ästhetischen Intellekt und eine Sensibilität geprägt ist, in der für Spiel, Ambiguität und Offenheit Platz ist und wo die Möglichkeiten, Kunst zu schaffen, permanent durch das Einbeziehen von vernetzten Maschinen und Multiplizitäten erweitert werden.


Mit Dank an Jaime Stapleton, der diesen Text mit seinen multiplen AutorInnen diskutierte.

Übersetzung: Iris Nölle-Hornkamp



* In diesem Text werden männliche und weibliche Formen nur durch die weibliche repräsentiert.

(1) Dank an Timothy Didymus.

(2) Die Kritikerin und Kuratorin Lucy Lippard benutzte den Begriff »escape attempts« (»Fluchtversuche«) erstmals in einem rückblickenden Text über Konzeptkunst, um zu beschreiben, wie die Konzeptkunst der Ideologie der Kunst zu entgehen suchte, indem sie »unverkäufliche«, »gegenstandslose« und »nichtkünstlerische« Arbeiten hervorbrachte. Sollfranks Werk, und insbesondere der net.art generator, sind Erben dieser Fluchtversuche. Wie alle wahrhaftigen Nachfolger richtet sich ihre institutionelle Kritik jedoch in eine andere Richtung, nämlich in die der Autorschaft innerhalb des Kontextes der Software-Kultur.

(3) Der Satz stammt tatsächlich nicht von ihr, sondern ist bei Andy Warhol ausgeliehen, der ihn in den frühen 1970er Jahren als Signatur für einige seiner Drucke einsetzte, nachdem die ersten gefälschten Warhols in Umlauf gekommen waren. Der Satz »This is not by me« bildet gleichzeitig den Titel eines Ausstellungsprojekts, das Sollfrank an mehreren Orten in Europa und Asien umsetzte. Die Ausstellung »This is not by me« 2006 im Kunstverein Hildesheim war zugleich der Ausgangspunkt für diesen Text.

(4) Ursprünglich bestand der net.art generator aus fünf gleich gewichteten Generatoren, jetzt ist allerdings einer von ihnen »außer Betrieb« und zwei werden als »historische Versionen« bewertet, auch wenn sie noch immer funktionieren. Entsprechend besteht der net.art generator derzeit hauptsächlich aus Nummer 4 (nag_04) und 5 (nag_05). Siehe http://net.art generator.com/src/gen.html, Stand: 5.2.2009.

(5) Aufgrund dieses Prozesses sind die Generatoren im Hinblick auf ihr Design und ihre Funktionsweise ganz unterschiedlich. Am aufwändigsten (und auch von Sollfrank am häufigsten eingesetzt) ist der nag_05 (programmiert von Panos Galanis, iap GmbH), der nur Bilder verarbeitet und der Userin das Festsetzen einer bestimmten Anzahl von Parametern ermöglicht, etwa die Anzahl der Bilder (2–8), die Größe sowie das Datei-Format (jpg, gif, png).

(6) Michel Foucault: »Was ist ein Autor?« In: Fotis Jannidis (Hg.), Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart, 2000, S. 198–229. (Erstveröffentlichung 1968 in französischer Sprache.)

(7) Ebd., S. 227

(8) Die Verschiebung zeigt sich deutlich in dem noch unbetitelten work-in-progress, für das Sollfrank 6–10 identische Drucke nebeneinander aufhängt. Die Drucke sind nur durch einen kleinen Chip auf der Rückseite zu unterscheiden, der Fragmente literarischer, rechtlicher und theoretischer Texte enthält, ganz wie eine traditionelle Signatur. Anders ausgedrückt, es sind Worte, hier in Form externer und unsichtbarer Daten, durch den die Bilder identifiziert werden, und nicht die visuellen Merkmale der Bilder selbst. Die visuelle Spezifität wird durch eine konzeptuelle Abstraktion verworfen und die tatsächlichen Bilder werden in Media transformiert, zugunsten eines ästhetischen Diskurses, der nicht auf Identität oder Identifikation abzielt, sondern auf deren Voraussetzungen.

(9) http://artwarez.org/projects/legalperspective/, Stand: 5.2.2009.

(10) Eine Zielsetzung des net.art generators besteht darin, die beiden Abteilungen der Andy Warhol Foundation (einmal die, die sein Copyright schützt, dann die, die sein Erbe vermarktet) dazu zu bringen, gegeneinander zu prozessieren. Die beiden Abteilungen gehören zum selben Unternehmen, haben jedoch eine entgegen gesetzte Zielrichtung und kommunizieren nicht miteinander.