Was würde eine künstliche Intelligenz als schön empfinden?
Die brennende Frage nach 'generativer Kunst' und ihrem Publikum
Sarah Cook
Einleitung
Im Umfeld von Kunst und Kultur herrscht oftmals ein Verständnis von Technik, das diese als reines Trägermedium missversteht, mit dem fertige Inhalte übermittelt werden (man denke dabei an die Informationsübertragung, angefangen beim Telegrafen, über das Telefon bis hin zum Fernsehen.) "Generative Kunst" stellt derlei Vorstellungen auf den Kopf - nicht nur, dass ihre Inhalte vorher nicht festgelegt sind, ist die Technik darüber hinaus gleichzeitig das Medium, das die variablen und manipulierbaren Inhalte erst hervorbringt.
Die am häufigsten zitierte Definition für generative Kunst stammt von Philip Galanter und lautet:

"Als generative Kunst kann man jene künstlerischen Praktiken/Verfahren bezeichnen, bei denen der/die KünstlerIn einen Prozess in Gang setzt, bei dem durch das Abarbeiten des von ihm/ihr vorgegebenen Regelwerkes ein Kunstwerk ensteht (oder zu einem Kunstwerk beigetragen wird). Dabei können die Regeln entweder die Form natürlicher Sprache haben, es kann sich aber auch um ein Computerprogramm oder andere Mechanismen handeln." *1

Der Begriff "generative Kunst" hat sich so sehr erweitert, dass heute sogar die von Noam Chomsky beschriebene "generative Grammatik" oder die linguistische Theorie einer "generativen Matrix" *2 von Slavoj Zizek einbezogen werden können. Gleichzeitig scheint Einverständnis darüber zu herrschen, dass dem Generierungsprozess vom Urheber festgelegte Regeln zugrunde liegen, die durch den Computer bzw. die Eingabe eines Users (Benutzers) ausgeführt werden. Das bedeutet nichts anderes, als dass die durch einen Benutzer in Gang gesetzte Technik es ist, die den jeweiligen Inhalt erst konfiguriert, dann erzeugt bzw. berechnet, um ihn letztendlich in Form des "Kunstwerkes" bereitzustellen - zumindest trifft das in den meisten Fällen zu. Nach diesem, sehr allgemeinen Schema könnte man sogar die Funktion der "Stapelverarbeitung" *3 in Photoshop als "generativen Kunstprozess" bezeichnen.
Da "generative Kunst" zu einem nicht unerheblichen Teil aus einem Regelwerk besteht, das von KünstlerIn/ ProgrammiererIn vorgegeben wird, ist das variierende Ergebnis (in bezug auf Inhalt und Struktur), trotz der meist überraschenden Wirkung auf die Benutzer, nicht notwendigerweise unvorhersagbar. Vorausgesetzt, man hat ein grundsätzliches Verständnis davon, wie die Regeln funktionieren (versteht den Code, der unter der Oberfläche läuft), kann das Ergebnis, trotz des komplexitätssteigernden Einsatzes von Zufalls-Parametern, erraten bzw. in einfacheren Fällen sogar vorhergesagt werden. Spielt sich das Generieren im Web oder innerhalb eines Computernetzwerkes ab, oder kommen neue, interaktive Kollaborateure (User) ins Spiel, gewinnt der Prozess eine zusätzliche Ebene und neue Fragestellungen tun sich auf.
Was dieser Essay versucht - angeregt durch Cornelia Sollfranks Netzkunstgenerator (1999) -, ist deutlich zu machen, was genau sich in den tieferen Ebenen abspielt, was die ästhetischen Erfahrungen der RezipientInnen "generativer Kunst", der KuratorInnen, des Publikums, der BenutzerInnen, Interagierenden und Beitragenden sind. In Anbetracht der besonderen Rolle, die vernetzte Computer für den Entstehungsprozess "generativer Kunst" oft spielen, geht dieser Essay zusätzlich der Frage nach, wie man den Netzkunstgenerator heute im Umfeld, der noch jungen Disziplinen von "generativer Kunst", Code Art und Softwarekunst lesen kann und wie er im Vergleich dazu, zur Zeit seiner Entstehung, im Umfeld der frühen Netzkunst und einer Kunst, die durch Computernetzwerke und dem World Wide Web entstanden ist, gelesen wurde. *4
Eine kurze Geschichte der Ästhetik von Netzkunst
Wollen wir - um der Argumentation willen - mit einer Definition beginnen, die von IBM entwickelt wurde, um die logische Tiefe (logical depth) eines Signals im Gegensatz zur Unvorhersagbarkeit von Information (information unpredictability) bzw. zum Rauschen zu messen:

"Der Wert einer Nachricht besteht im Umfang der mathematischen oder anderen Arbeit, die von ihren Urhebern plausibel ausgeführt worden ist und die zu wiederholen dem Empfänger erspart bleibt. Je schwieriger es ist, zu einer Aussage zu kommen, je mehr Rechenzeit man braucht, desto größer ist die logische Tiefe. Oder um es noch prägnanter zu sagen: Die Bedeutung einer Aussage beruht nicht auf der syntaktischen Information der Aussage, sondern auf der Information, die während der Produktion aussortiert worden ist. Man könnte diesen Prozeß Exformation nennen. Also zählt nicht die Länge der Nachricht, die Nachrichtenmenge, sondern die dazu nötige Rechenzeit. Logische Tiefe oder Komplexität hängt also nicht so sehr vom Endprodukt ab, sondern ist mehr ein Ausdruck für den Produktionsprozeß. Logische Tiefe ist nicht formal definiert als die Anzahl von Schritten auf einem Weg, der einen Sachverhalt mit seinem möglichen Ursprung verbindet." *5

Bei dieser speziellen Zuordnung von Wert (value) geht es inhärent um Nützlichkeit (usability) - (und ich benutze den Ausdruck "usability" nicht im allgemein gebräuchlichen Sinn von Jakob Nielsen, der damit die Benutzerfreundlichkeit von Web-Design meint, sondern in einem allgemeineren ästhetischen Sinn von Nützlichkeit (usefulness), einer Art Signal-Rausch-Abstand bezüglich der Botschaft einer künstlerischen Arbeit). Dabei handelt es sich um eine vollkommen andere Zuordnung von Wert als sonst bei Kunstwerken üblich. Die Wertzuordnung bei Kunstwerken hat sich über Jahrhunderte entwickelt - durch philosophische Studien von Sinneswahrnehmung und einem wachsenden Verständnis davon, wie unsere kritischen Instanzen (faculties) Entscheidungen treffen. Dieses Forschungsgebiet - die Ästhetik - basiert vorwiegend auf statischen Kunstformen und orientiert sich für zeitgenössische Untersuchungen von Medienkunst an den Brüchen zwischen repräsentativen visuellen Kunstformen und zeichenorientierten, geschriebenen Kunstformen wie Poesie. *6 Man darf nicht vergessen, dass sowohl Kant als auch Hegel zu dem Ergebis kamen, dass selbst wenn man der bewunderten Kunst einen Gebrauchswert (use-value) zuordnen kann, damit noch lange keine wahre Aussage zur Ästhetik des Werkes gemacht worden ist. In diesem Sinne spielt viele der zeitgenössischen Medienkunst, die Computer benutzt, absichtlich mit dem Gebrauchswert der Technik, die sie sich aneignet, wie es zum Beispiel auch jene elektronische Musik macht, die mit der Grauzone zwischen Signal und Rauschen spielt. Das schränkt die Brauchbarkeit der oben gegebenen Definition keineswegs ein, beinhaltet diese doch eine Annahme, die eine der Grundfesten von Kunstkritik und Ästhetik darstellt, nämlich dass der Wert einer künstlerischen Arbeit von der vom Urheber geleisteten Arbeit abhängt, die er benötigte, um das Werk zu codieren und zusätzlich von der überraschenden (und vielleicht ironischen) Art, in der die Botschaft des Werkes kodiert worden ist. *7
"net.art" (mit dem Punkt) hat sich als künstlerisches Umfeld bei einem Treffen gleichgesinnter Kulturproduzenten (KünstlerInnen, AktivistInnen und ComputerprogrammiererInnen) konstutuiert, das 1996 durch die Mailingliste nettime zustande gekommen war. *8 Zieht man jedoch die ironische Haltung der fraglichen KünstlerInnen bezüglich ihrer eigenen Etikettierung als "Gruppe" mit in Betracht, dann wird es schwierig bis überflüssig, die 1996 und 1997 in diesem Umfeld entstandene Kunstproduktion verallgemeinern zu wollen. Dennoch kann man feststellen, dass die net.artists in ihren frühen Interventionen im Internet und dem World Wide Web dem Künstler als Autor, als Urheber eine große Bedeutung beimessen. Dazu kommt - was erst im nachhinein an Bedeutung gewinnt - die Wichtigkeit, die sie der Tatsache verliehen, sich persönlich zu kennen und ihre Arbeit zu diskutieren. Josephine Bosma zitiert Olia Lialina, eine Künstlerin des net.art-Umfeldes, die sagt:

"net.art bedeutet für mich Kunst im Web in ihrer Anfangszeit. ... nicht Tausende von Hits *9 am Tag, weil man in irgend einer Netzkunst-Kategorie gelistet ist, sondern Feedback von Leuten, die deine Website durch Zufall gefunden hatten." *10

In diesem Sinn - und bleibt man bei der Ironie - könnte man behaupten, dass net.art ist, was die Internetkunst war, bevor Museen und Kunstbetrieb davon Wind bekamen.
Im Jahre 1997 und Anfang 1998, also während der Blütezeit der halb geheimen "face-to-face"-Treffen der net.artists von nettime, 7-11 und anderer Mailinglisten, wurde die Ästhetik der Netzkunst von Außenstehenden vorwiegend auf zwei Ebenen bewertet: des zweidimensionalen-bildschirmorientierten Grafik-Design oder des Konzeptes. Eine Hauptrolle spielte dabei der Umgang der Künstler mit den Navigationsmöglichkeiten oder -zwängen durch eine Seite - und zwar sowohl auf grafischer als auch auf konzeptueller Ebene. Beispielhaft dafür sind JODIs eigenartige und absichtlich frustrierende Website hell.com oder Olia Lialinas poetisches Text-Bild-Narrativ My boyfriend came back from the war. In beiden Fällen ist es der entscheidende Aspekt der Arbeit, wie man durch sie navigiert. Für diejenigen, die näher an dieser Avantgarde dran waren, gewannen zusätzlich die politische Haltung und das Potential für Veränderung, das die Persönlichkeiten hinter den Arbeiten verkörperten, an Bedeutung. Das Internet selbst entwickelte sich damals gerade zum Hauptwerkzeug der Verschiebungen, die sich im geo-politischen Denken ereigneten.


female extension und Netzkunstgenerator
Dies gilt sicherlich auch für die 1997 entstandene Arbeit female extension. Die Kuratorin und Kunstwissenschaftlerin Inke Arns beschreibt das Projekt folgendermassen:

"Cornelia Sollfrank generierte im Rahmen des Projektes 'female extension' mit Hilfe eines Computerprogrammes (PERL-Script) individuelle Netzkunstprojekte für 289 virtuelle Künstlerinnen. Das Programm sammelte im WWW nach dem Zufallsprinzip Material und rekombinierte es zu neuen HTML-Seiten." *11

Folglich scheint female extension eine Arbeit zu sein, die überleitet, nämlich von der ersten Phase der net.art, die zwar eine politische Gesinnung aufwies, aber inhaltlich und künstlerisch recycelt war, hin zu einer Hand voll späterer Netzkunstarbeiten (ohne den Punkt), die den direkten Kontakt mit Institutionen nicht scheute und bewusst Fragen von Autorschaft, Originalität und Ausstellbarkeit adressierte, die der Kunstbetrieb mit sich bringt.
Als die Museen begannen der net.art habhaft werden zu wollen (und der Netzkunst im allgemeinen), ergriffen die Kuratoren ihre gewohnten Werkzeuge zur ästhetischen Bewertung. Sie wählten Arbeiten aus, die auf beiden oben erwähnten Ebenen (Screen-Design/ Konzept) interessant zu sein schienen, wie zum Beispiel Amy Alexanders Projekt eines multikulturellen Recyclers, der Screenshots von auf der ganzen Welt verstreuten Webcams collagiert. Die Kuratoren wendeten auf diesen neuen Werktyp ihr kunsthistorisches Verständnis von Medien wie Grafik und Fotografie an sowie ihr kuratorisches Wissen über andere vernetzte Kunstbewegungen wie es Konzeptkunst und Mail Art gewesen waren. Und anstatt sich damit aufzuhalten, programmieren zu lernen, spezialisierten sie sich auf die Rezeption der Werke, ihre - wenn man so will - "oberflächlichen" Werte. Um ehrlich zu sein, muss man sagen, dass der Erfolg der frühen Netzkunst in erster Linie auf ihrer ästhetischen Erscheinung beruhte, während Manipulationen auf der Ebene des Überbringungsmechanismus - als der die Technik verstanden wurde - für den Erfolg nachrangig waren.
Es ist ganz klar, dass female extension auf beiden Ebenen erfolgreich operierte. Aus der Perspektive von Kuratoren und Jury war es überwiegend ein Erfolg auf der ersten Ebene - Hunderte von Arbeiten mit seltsam interessanten Screen-Designs wurden vom Museum in den Wettbewerb aufgenommen (ganz unabhängig davon, dass diese Kunst-Webseiten nicht verlinkt waren und keinerlei Funktionalität besaßen). Aus ganz anderen Gründen war es aus der Perspektive der Urheberin, Cornelia Sollfrank, und ihres Teams ein durchschlagender Erfolg, nämlich durch die unerwartete Weise, auf die die Technik eingesetzt worden war. Auf dieser zweiten Ebene, kann der eigentliche Wert der Arbeit angesiedelt werden, nämlich genau wie in der Definition von "logischer Tiefe" beschrieben, in der verborgenen Redundanz und ihrer zweifachen Funktionsweise - zuerst ist die Redundanz nur für ihre Urheberin sichtbar und bemerkbar, erst später, nach der "Enthüllung" des Generators, auch für die, die sich anfangs nicht um den Code gekümmert hatten.
Bei female extension handelte es sich um Kunst (in mehrfacher Hinsicht eine Performance) - und von einem (Computer-) Netzwerk hervorgebracht - die die ästhetische Bewertung von net.art auf einer Ebene herausforderte, über die bis dahin noch nicht nachgedacht worden war. Und worin besteht die Wertzuweisung auf dieser zweiten Ebene, der des Konzeptes?
Zur Erklärung sollte man sich die Maschine der "schlauen Künstlerin" *12 -den Netzkunstgenerator- einmal genauer ansehen. Seit 1999 in Entwicklung, existiert der Netzkunstgenerator inzwischen in mehreren Versionen, die von verschiedenen ProgrammiererInnen in Zusammenarbeit mit Sollfrank hergestellt wurden. Die Ergebnisse der Generatoren sind, je nach Version, entweder mehr text- oder bild-/grafikorientiert. Cornelia Sollfrank selbst erläutert, dass ihrer Meinung nach der Netzkunstgenerator den Fokus von Netzkunst verschoben hat:

"... von einem festgelegten Inhalt (wie zum Beispiel Olia Lialinas Geschichten) hin zu einem mehr prozess-orientierten - zumindest scheinbar - interaktiven Modell verteilter Autorschaft und einem mehr oder weniger unvorhersagbaren Ergebis. Im Vergleich zu dem, was die erste Generation der Netzkünstler gemacht hatte, schien das für mich revolutionär zu sein." *13

Damit behandelt die Arbeit nicht nur Themen wie Originalität versus Reproduktion, Materialität versus Flüchtigkeit (ephemerality) und die Rolle der Kunst im Cyberspace - was für alle net.art gilt -, sondern sie stellt durch ihre Automatisierung, ihr spezielles Modell von Autorschaft und ihren Umgang mit individuellem, künstlerischem Genius viel mehr in Frage. Und durch die codierte Anwendung von Suchmaschinen lassen die entstehenden "Kunstwerke" zusätzlich den jeweiligen Zeitgeist im Netz erkennen, was beim Gros der davor entstanden net.art kaum der Fall war.


Netzkunst und das Museum
Im Jahr der Entstehung von female extension (1997) und sogar noch 1999 als der Netzkunstgenerator als unabhängiges Projekt gelauncht wurde, war das Verhältnis zwischen Museum und Netzkunst (sowohl net.art als auch Netzkunst) noch grundlegend anders als es heute ist; die Museen versuchten gerade dieser neuen Kunstform habhaft zu werden. *14 Der Medienhistoriker Friedrich Kittler schreibt dazu, über das digitale Museum spekulierend:

"Die Zuflucht, die das Museum laut Valéry den Bildern und Statuen bietet, hieße in den kalten Begriffen der Informatik also Speicherung. Denn von den drei Funktionen einer Universalen Diskreten Maschine - Speicherung, Übertragung und Verarbeitung ihrer Eigenschaften - fallen zwei, die Übertragung und die Verarbeitung, im Museum aus: An Dingen, die oft ein regelrechter Staatsauftrag der Aufbewahrung anbefiehlt, darf nichts mehr verändert werden. (...) Das Museum ist ein hybrides Medium, das seine elementare Speicherfunktion historisch oder opportunistisch, aber jedenfalls nicht systematisch an andere Verarbeitungs- und Übertragungsmedien gekoppelt hat. Die Trennung zwischen Kunst und Technik, wie sie das klassische Museum gestiftet hat, bleibt von modernen Präsentationsformen unberührt. (...) Diese gegenseitige Gleichgültigkeit mag machbar und gangbar gewesen sein, solange unter den technischen Medien die Übertragungsmedien dominierten, während das Museum weiterhin auf Speicherung spezialisiert blieb. Im Kontext eines Informationssystems jedoch, das das Prinzip Übertragung tendenziell kassiert, weil es alle Übertragung auf die Verarbeitung und Berechnung von Daten zurückführt, wirkt bloße Speicherung schon als solche einigermaßen dysfunktional" *15

Eine grundlegende Veränderung seit female extension besteht darin, dass die Museen realisiert haben, dass sie mehr als nur Spezialisten im Speichern sein müssen, wenn sie den Verpflichtungen ihrem Publikum gegenüber gerecht werden und ihre einzigartige Rolle als Kunstspezialisten behalten wollen. Das bedeutet, dass über das reine Veranstalten von Wettbewerben für herausragende netzbasierte Kunst hinaus viele Museen jetzt auch künstlerische Arbeiten in Auftrag geben - in allen Medien, aber in erster Linie Netzkunstarbeiten. *16 Aber während sich die Museen in diesem Sinne zum Besseren verändert haben (und Künstler sie jetzt auch als Förderer neuer Arbeiten und nicht nur als reine Konservatoren bestehender Werke betrachten können), hat sich das Internet selbst in gewisser Weise zum Schlechteren verändert. Wie Frederic Madre es formuliert, ist das Internet "nicht künstlerfreundlich" *17 , und das gilt für unsere "Nach-dot-com-Ära" umso mehr. Staatlich geförderte Museen - von denen behauptet wird, sie würden in öffentlichem Interesse Dinge bewahren - sind selten in der Lage, Künstler und deren Arbeit zu verteidigen oder zu beschützen, wenn diese mit kommerziellen Interessen der Online-Welt oder dem Gesetz (zum Beispiel Copyright) in Konflikt geraten. *18 female extension ist ein gutes Beispiel dafür, wie der einst unantastbare Schutzraum, den das Museum darstellte, (seine "Ausstellung-als-Speicherung"-Funktion) genauso hinfällig, korrumpierbar und dem Untergang geweiht ist, wie jedes andere Unternehmen auch.
Das Wettbewerbs-Format und die Möglichkeit, Vorschläge einzureichen, besteht immer noch bei fast allen Ausstellungsgelegenheiten und -orten für "Neue Medien"-Kunst. Dem ist so, weil Kuratoren aufgrund der technischen und finanziellen Zwänge ihrer Institutionen scheinbar Probleme damit haben, herauszufinden, was in der herrlich unregulierten Welt des Internet alles so kursiert. Welche Filter man auch immer anwendet, sie werden schnell durch neue Kunstformen hinfällig. *19 Der Kurator des Walker Art Center, Steve Dietz, pflegte über die Netzkünstler JODI zu scherzen, dass sie bedeutend mehr Besuche auf ihrer Website verbuchen können, als die Webseiten aller Museumskuratoren zusammen, die je bei JODI einen Atelierbesuch gemacht haben. *20
Obwohl die Speicherfunktion des Museums im Vergleich zu dem Versuch der Institutionen, sich auch im Bereich von Übertragung und Verarbeitung zu engagieren (z.B. neue Arbeiten in Auftrag zu geben und die Öffentlichkeit über die zugrunde liegenden Prozesse aufzuklären) in den Hintergrund rückt, ist die Vorstellung davon, was eine Ausstellung ausmacht, immer noch in erster Linie von statischen Arbeiten geprägt. Florian Cramer schreibt dazu:

"An net.art hat sich gezeigt, dass in der zeitgenössischen Kunst nichts ohne warentaugliche Objekte geht, die sich in Ausstellungsräume stellen lassen. (Und wenn Kunst immateriell oder prozessual ist, müssen wenigstens solche warentauglichen Objekte hergestellt werden, die diese Prozesse - semiotisch ausgedrückt - indexikalisch ersetzen, so, wie es die Fluxus-Künstler mit ihren Performance-Relikten, Schachteln und Auflagenobjekten getan haben.)" *21

Eine kleine Schwierigkeit besteht allerdings darin, dass die meisten Künstler Probleme damit haben, für ihre Medienkunst, Netzkunst und generative Kunst statische Formen zu finden.


Generative Kunst Aber selbstverständlich hat sich auch das Umfeld im Netz in den letzten 10 Jahren verändert, und die automatische Generierung von Inhalten scheint fast allgegenwärtig geworden zu sein. Man denke nur an die "Empfehlungen" beim Online-Buchkauf bei Amazon, diese Raffinesse, die nach der Wahl eines Buches automatisch errechnet, welche anderen Titel für mich interessant sein könnten. Das Platzieren von Cookies, Sniffern, die die Bewegungen auf einer Website nachverfolgen und die getroffene Auswahl auswerten sowie das Aufzeichnen der Geschwindigkeit der Augenbewegung (eyeball drag time), all das wirkt zusammen, nur um für mich, den Konsumenten, eine massgeschneiderte Surf-Erfahrung zu generieren. Genau wie beim Fernsehen werden wir auch in bestimmten Teilen des Internet selbst zum Produkt, werden den Bedürfnissen der Ökonomie angepasst; die Auswahl trifft, ganz heimtückisch, wer oder was auch immer - jedenfalls nicht wir selbst. Generative Kunst hat sich im vernetzten Dasein als eine Form von Produktion im Umfeld von Softwarekunst, Code Art und Open-Source-Bewegung durchaus etabliert. Dazu kommt in der zeitgenössichen Internetkunst eine beträchtliche Anzahl von von KünstlerInnen programmierten, alternativen Web-Browsern. Und um der zunehmenden Beschränkung von Online-Inhalten entgegenzuwirken und einen freien Zugang zu gewährleisten, haben Bewegungen wie copy left versucht, für Computernetzwerke gemachte Kunst einer "Geschenkökonomie" zuzuführen. Allein das reibt sich schon mit herkömmlichen Definitionen von Ästhetik, die möglichst jedem Werturteil auch einen Autor und ein statisches Kunstwerk zuordnen möchte. Beim Netzkunstgenerator wurden zwar immer die Namen der beteiligten ProgrammiererInnen genannt, aber erst jetzt, vier Jahre nach seiner Entstehung, ist die Zeit reif, gemeinschaftlich als Autoren aufzutreten und die Programme gemeinsam unter einer GPL - General Public License - zu veröffentlichen und für andere zur Benutzung und Modifizierung freizugeben. Gehen wir davon aus, dass die Idee eines "Künstler-Programmierers" kunsthistorisch gesehen ein neu entstehendes Genre bzw. Etikett ist, dann müssen wir auch bereit sein, künstlerische Ästhetik nicht länger an einem statischen Ort anzusiedeln, der ohne jegliche Veränderungen der begleitenden sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen existiert, die unsere Vorstellungen von Autorschaft und Originalität längst verändert haben.

"Bei der generativen Kunst arbeiten der 'Künstler-Programmierer' und die Maschine Hand in Hand, um überkommene alte Mythen von Kreativität zu zerstören - dabei möchte ich betonen, dass Kunst formalen Strukturen unterliegt und Computer ganz besonders nützlich sein können, um eben diese Strukturen zu manipulieren." *22

Was uns gleich zu der Frage nach der Rezeption und Bewertung generativer Kunst durch das Publikum und den User bringt. Wie Geoff Cox, Alex McLean und Adrian Ward in ihrem Essay The Aesthetics of Generative Art betonen, liegt der ästhetische Wert von Code (was wohl die Grundlage generativer Kunst sein dürfte) in seiner Ausführung, nicht nur seiner geschriebenen Form. (korrekterweise anmerkend, dass, ginge es um letzteres, es sich um Poesie und nicht Ästhetik handeln würde.)
Folglich müssen wir zu unserer ersten Definition davon, wo in der Informationsübertragung "Wert" (value) liegt (nämlich in der versteckten Redundanz) und dem Verständnis der vom Urheber geleisteten Arbeit, ein Verständis der "Aktion" des Werkes - dem Manifest-Machen, der Ausführung - hinzufügen.
Aber von wem oder was wird diese Handlung ausgeführt? Dem Künstler? Der Technik? Dem Publikum? Dem Nutzer? Ausserdem, wo sollen wir die Grenze ziehen zwischen einer ursprünglichen Autorschaft und einer Gemeinschaftsarbeit?
Stellt man diese Fragen im Hinblick auf "generative Kunst", bekommt man, je nachdem in welchem Zusammenhang eine Arbeit gemacht oder gesehen wird, unterschiedliche Antworten - vom kommerziellen Sektor (Software-Entwicklung als Kunst) bis hin zum eher traditionellen Kunstsektor (anderen Formen von Netzkunst, anderen digitalen Praktiken, Musik). Mich interessiert, welche Antworten im Falle einer generativen Kunst gegeben werden können, die dem Ausstellungsbetrieb - dem Museum oder der Galerie - Schwierigkeiten bereitet. Und was sind die Erfahrungen des Publikums?


Das Ausstellen generativer Kunst
Das macht die Ausstellung Generator, die kürzlich durch England wanderte so interessant. *23 Sie umfasste auf der Seite digitaler Arbeiten neben Cornelia Sollfranks 'net.art generator#, Ade Wards Auto-Illustrator 1.1 (eine überarbeitete Version des bekannten Programmes Illustrator von Adobe), die aus mathematischen 3D-Modellen generierten Textarbeiten oulibot von Joanna Walsh, Alex McLeans forkbomb (ein PERL-Script, das seinen Host-Computer zum Absturz bringt und gleichzeitg diesen Prozess visualisiert), Netochka Nezvanovas Fotografien von lebenden Zellen genograph sowie auf der Seite der nicht-digitalen, aber trotzdem durchaus generativen Kunst, die Arbeiten von Yoko Ono, Sol Lewitt und Angus Fairhurst.
Da die Ausstellung mehrere Stationen hatte, veränderte sie sich durch den Input und die Erfahrungen der Zuschauer permanent. Die Zweige von Yoko Onos Bäumchen füllten sich mit mehr Wünschen, die Ausdrucke digitaler Arbeiten vermehrten sich unablässig und wurden immer komplexer, da die generierenden Programme selbst auch stets raffinierter wurden. Die Datenbank des Netzkunstgenerators wächst jeden Tag. Lediglich die Zeichnungen, Fotografien und linearen Videoarbeiten bleiben von Ort zu Ort gleich. Unter den schwierigen Bedingungen von Ausstellung und Besucher-Interaktion zeigen diese Arbeiten auch ihre Abnutzungserscheinungen - Betriebssysteme stürzen ab und frieren ein, Drucker haben kein Papier oder keine Tinte mehr, Netzwerke brechen zusammen und müssen neu eingerichtet werden.
Obwohl in der Öffentlichkeitsarbeit zu der Ausstellung behauptet wird, die ausgestellten Arbeiten seien "selbst-generierend" und alles würde "live" und in Echtzeit und einige Elemente sogar endlos weiterarbeiten *24 , spielt doch tatsächlich bei vielen Arbeiten die Anwesenheit einer interagierenden Person eine wichtige Rolle - und das nicht nur bei den digitalen Arbeiten. Weder die Arbeiten von Yoko Ono noch die von Cornelia Sollfrank wären vollständig ohne den Beitrag eines Besuchers. Das bekannte Argument, dass die Kunst im Auge des Betrachters stattfinde, wird hier zu seiner logischen und technischen Schlussfolgerung gebracht. Wie Cox et al gezeigt haben, "liegt der ästhetische Wert einer Arbeit in ihrer Ausführung". Während die Ausführungsroutine durchaus in der Arbeit direkt eingeschrieben sein kann, ist das bei einigen Arbeiten nicht der Fall, und sie sind darauf angewiesen, dass eine interagierende oder teilnehmende Person den Stift zum Blatt oder den Finger zum Keyboard führt.
Seitdem diese Ausstellung ihre Tour begann sind bereits wieder neue, vernetzte Kunstprojekte enstanden, die die Idee generativer Kunst wieder erweitern, die zwar vor der konzeptuellen Ästhetik des Code etwas zurückschrecken, dafür aber ein liebesvolleres Verhältnis mit dem Bild eingehen. Lev Manovichs Soft Cinema-Projekt kreiert nach seinen eigenen Worten fiktionale Geschichten in einer Serie von Kurzfilmen:

"Während das Geschichten-erzählende Voiceover vorher geschnitten wurde, wird alles andere in Echtzeit von Computerprogrammen kreiert, einschliesslich dem, was auf dem Bildschirm wo und in welcher Szene auftaucht. Die Entscheidungen basieren teilweise auf festgelegten und teilweise auf dem Zufallsprinzip. In anderen Worten: Man kann sich Soft Cinema als halbautomatischen VJ (Video Jockey) - oder genauer gesagt als FJ (Film Jockey) vorstellen." *25

Fast noch interessanter sind Thomson & Craigheads Short Films about Flying, sozusagen im Fluge generierte Internet-basierte Filme. Das Programm greift sich Bewegtbilder von Flughafen-Webcams, versetzt diese mit altmodischen Stummfilm-Zwischentiteln, die aus Textmaterial aus dem Netz generiert werden und hat als oberste Schicht einen Soundtrack aus zufällig ausgewählter Musik eines Radiosenders. Dieses Projekt kommt mir ähnlich vor wie der Netzkunstgenerator, weil es neue Arbeiten aus den gigantischen Mengen bereits online vorhandenen visuellen und Textmaterials kreiert. Es arrangiert Informationen, Daten, Bilder und Sounds zu einer neuen Erfahrung für den Betrachter. In diesem Fall trifft das Programm selbst die Entscheidungen und kommt ohne Input oder Interaktion aus.
Dabei handelt es sich um eine besonders verführerische Taktik, weil sie die oben erwähnte Debatte um Benutzerfreundlichkeit umgeht, die, wenn es zu Beurteilungen von Qualität oder Schönheit im Feld der Ästhetik kommt, fraglich wird, die aber in der Welt der Neuen Medien und ganz besonders im Webdesign wieder eine größere Bedeutung bekommen hat. Mit unlösbaren Problemen bezüglich der Benutzerfreundlichkeit haben sich eine Menge gerade der frühen net.art-Künstler herumgeschlagen (ich denke dabei wieder an JODI), und jetzt tauchen sie erneut in Zusammenhang mit Software-Kunst auf. Die Ästhetik der Kunst ist klar: wunderschöne, manchmal sogar erhabene Bilder und Filme zur Betrachtung. Wie Steve Dietz es formulierte:

"Die Argumentation in Bezug auf Bedienerfreundlichkeit ist ein rutschiger Abhang - man würde nie auf die Idee kommen, zu sagen, Jasper Johns sollte seine Gemälde 'benutzerfreundlicher# gestalten. Man sollte vorsichtig damit sein, eine instrumentalistische Vorstellung von Interface für Online-Kunst anzuwenden. 'Man findet sich schwer zurecht.' 'Na und? Was hat das mit Kunst zu tun?'" *26

Dieser aufstrebende Bereich "generativer Kunst" benutzt nicht nur bereits existierende Webinhalte, sondern produziert auch eine weitergehende Unterscheidung zwischen dem, was man Bildschirm-Ästhetik und Datenbank-Ästhetik nennen könnte, wobei sich in einem Fall durch ein Interface die Bedeutung der Arbeit dramatisch verändern lässt, während im anderen Fall das Interface selbst der Kontext und der Inhalt der Arbeit ist. *27
Was uns zurück bringt zu der Frage nach den Erfahrungen der Betrachter. In den neueren Varianten "generativer Kunst" spielt es für die Ästhetik eines Werkes, nicht einmal für die versteckte Redundanz der Nachricht (der Informationsübertragung) eine Rolle, ob die Ausführung der Arbeit durch Code, durch Technik oder durch einen Benutzer gesteuert wird. Worauf es am meisten ankommt, ist der Kontext, in dem die generative Kunst "läuft" und rezipiert wird.


Schlußfolgerung
Interessanterweise entschloss sich Cornelia Sollfrank am dritten Ort der Generator-Ausstellung großformatige Ausdrucke der automatisch generierten Webseiten anzufertigen, um die Galeriewände damit vollzuhängen. Von meiner Position als Kuratorin aus, bewerte ich das als ein Zugeständnis an das Publikum; einen Hinweis auf den Warenstatus von Kunstobjekten innerhalb des Rahmens einer Ausstellung, eine Einverständniserklärung mit traditionellen Formen von Kunstbetrachtung. Von der Künstlerin hingegen waren diese Ausdrucke als Provokation gemeint. Sie verstand es als eine Art, die Besucher der Ausstellung zu fragen, welchen Grad an Greifbarkeit sie von einer inhärent prozess-orientierten Kunst erwarteten. Natürlich sollte das aus dem Selbstverständnis des Netzkunstgenerators heraus als "generativer Kunst" nicht notwendig gewesen sein, vielleicht wünschenswert oder merkwürdig absurd, aber eben nicht notwendig. Das geht an der eigentlichen Frage vorbei, nämlich wie die Arbeit rezipiert werden würde, wenn sie nicht im Ausstellungsformat erscheint. Was ist im Zusammenhang dieser Ausstellung anders als bei einer reinen Internetpräsenz? Oder wie Joanna Walsh sich in bezug auf ihre generative Posie fragte, was wäre, wenn es sich beim Leser um eine künstliche Intelligenz handelte, ebenfalls ein generatives Computerprogramm? Indem sie den Code der Netzkunstgeneratoren zugänglich macht, wird Cornelia Sollfrank ab jetzt in der Lage sein, ein Publikum von UserInnen/Interagierenden jenseits der Maschine selbst zu ermutigen. Zu ihren künstlerischen Mitarbeitern werden in Bälde jene gehören, die die Gesetze kennen, die der Code hervorbringt und denen er unterliegt, jene, die diese Gesetze vorsätzlich verändern können. Ob die Ergebnisse mehr bewirken können werden, als die Strukturen von "Ausstellung-Unterwerfung-Wettbewerb-Display" zu stören? Ob sie darüber hinaus kunsthistorische Vorstellungen von Autorschaft und Kreativität verändern werden können? Ich gehe davon aus; bleiben Sie dran, und Sie werden es herausfinden.

Übersetzung: Cornelia Sollfrank
(mit freundlicher Unterstützung von Kirsten Hebel und Prof.Dr. Wolfgang Ernst)


Wo geschieht denn hier die Kunst?
Kirsten Hebel
Einige Überlegungen zum Netzkunstgenator im Anschluss an Sarah Cook
Munter generieren sich die Zeichen, kommunizieren Codes, prozessieren Bits, biegen sich die Zeichenketten aufeinander und arbeiten sich aneinander ab. Vor all dem Geschehen staunen der Künstler/Urheber und der Rezipient, allein der Programmierer lächelt weise.
Die Codes sind tief und produktiv. Und wir? Eine Zusatzschleife in den Zeichenketten, nicht am Anfang und am Ende, sondern ein weiterer Durchgangsgenerator in der endlosen Kette selbsttätig prozessierender Sprach- und Bildzeichen oder auch nur digitaler Information. Ein erweiterter Ort der Ausführung und Aufführung binärer Handlungsanweisungen.
Aber eben - und da fängt es an fraglich zu werden - auch ein Ort der Aufführung. Aufführung für wen oder was? Der Wert eines Codes ist seine logische Tiefe. Wie ermitteln wir die? Indem wir messen, wieviel Arbeit seine Decodierung erfordert und die Einbettung in einen Kontext, in dem allein er Bedeutung entfaltet. An dieser Stelle muss zu suchen sein, was die Ausführung von der Aufführung für etwas, in diesem Falle für uns, unterscheidet.
Für etwas oder jemanden - das heißt für eine Instanz, die sich fragt: "Wofür?" In diesem Moment erzeugt sich eine Tiefe, die mit Arbeit weniger expliziert ist, als mit dem Genießen und dem Vergnügen. Eine Tiefe, die eher reflexiv als rekursiv operiert - das heißt, dass ein Subjekt eher sich selbst in Frage stellend verfährt, als dass bloß das Ergebnis einer algorithmischen Operation als Ausgangswert für die folgende in den Prozess wieder eingespeist wird.
Die Kunst kann nicht anders: Bei aller Erhabenheit und Unverfügbarkeit für uns als vermeintlich Sinn verwaltende oder souverän-kreative Schöpfersubjekte bleibt sie doch auch schön. Nicht Arbeit ist das letzte Kriterium ihres Werts, sondern Lust und Genuss bei der gedanklichen Tätigkeit, die sich einstellt bei dem Versuch zu ergründen, was dort geschieht und was vor allem mit mir geschieht, die ich mich in einen Bedeutungszusammenhang zum künstlerischen Ereignis stelle (oder welcher Art Ereignis auch immer). Als solcher Genuss an der eigenen Geistesregung ist die Kunst ein "Vorschein des Guten" (Kant), eine Möglichkeit der Erfahrung von Freiheit im Spiel von Einbildungskraft und Verstand, die - in Erregung versetzt - doch nicht zu einer regelhaften Befriedung gelangen. Kunsterfahrung gelingt, wenn sie einen Spielraum eröffnet, anders wahrnehmen, denken und handeln zu können, als im Rahmen des limitierten Regelwerks bisheriger Prägung.
Der Code, selbst die kommunizierenden Codes sind Zeichenketten - notgedrungen. Da bleibt keine Reaktion aus, die Kette ist, solange der Strom nicht ausfällt oder das Programm sich nicht aufhängt, keinesfalls zu unterbrechen. Die Kunst aber - und dies ist Kants immer noch jugendliche These aus dem 18. Jahrhundert - fängt dort an, wo die Auflösung in Sprache fehlschlägt oder ausbleibt, die vollständige Übersetzbarkeit einer Erfahrung in repräsentierende Zeichen scheitert. Wo anläßlich eines Geschehens ein Rest Sprachlosigkeit bleibt und das Geschehen eine Frage aufruft, die unbeantwortet bleibt. Das Verhängnis des Codes ist nicht, dass er mit Zeichen und deren Regelwerken operiert, das tun wir auch. Sein Pech ist vielmehr, dass er bis heute noch nicht in den Genuss seiner eigenen existentiellen Infragestellung gekommen ist.


  Fußnoten:
*1 Zitiert von der Mailingliste eu-gene; *2 Die Definition von Chomsky kann man nachlesen in Syntactic Structures 1965; Zizek in Mapping Ideology 1997. *3 Quot;Stapelverarbeitung" ist eine Automatisierungsfunktion des Bildbearbeitungsprogrammes Photoshop, bei der bestimmte Arbeitsschritte als eine Aktion gespeichert und anschließend, zur Zeitersparnis, auf eine beliebige Anzahl von Dateien angewendet werden können. (Anmerkung der Übersetzerin) *4 Dazu schreibt Florian Cramer: "Digitale Netzkunst ist (meistens) digitaler Code, Softwarekunst ist (meistens) digitaler Code, mit dem einzigen Unterschied, dass (a) auf Netzwerke fokussiert und (b) auf Algorithmen/executables. Wie dem auch sei, die Kunst kann von einem einzelnen Genius-Star-Künstler oder einem anonymen Kollektiv erschaffen werden (denken Sie nur an all die Untergrund-Software, die im Internet verfügbar ist(; sie kann ganz klar als abgrenzbares Werk definiert werden, (wie zum Beispiel eine Website, ein ASCII-Film etc. in der Netzkunst oder einer Schreibtischanwendung in der Softwarekunst) oder es kann auch etwas sein, bei dem es schwer ist festzulegen, wo die Arbeit anfängt und aufhört, woraus oder worin sie eigentlich besteht."Ð CREAM, Posting 19. April, 2002 *5 Charles H. Bennett zitiert in: Werner Held, Quantentheorie der Information, http://www.datadiwan.de/netzwerk/index.htm?/experten/he_002d_.htm
Zitat der englischen Version aus Charles H. Bennett, Logical Depth and Physical Complexity, in :The Universal Turing Machine: A Half-Century Survey, Hrsg. Rolf Herken, Oxford University Press, 1988, S.230). *6 siehe David Rodowick, Reading the Figural und Philosophy After the New Media. *7 Für eine überholte, dennoch brilliante und provokative Diskussion über die Notwendigkeit von Ironie in zeitgenössischer Kunst versus dem Mangel daran im Gros der digitalen Medienkunst, siehe Lev Manovichs Essay The Death of Computer Art, 1996. *8 Als kurze und süsse Geschichte von net.art empfehle ich einen Text von Josephine Bosma, den sie für eine Ausstellung von net.art im Museum für zeitgenössische Kunst in Oslo, kuratiert von Per Platou im März 2003, geschrieben hat: http://www.student.uib.no/~stud2081/utstilling/bosma.htm *9 Als 'Hits' bezeichnet man die durch Klicken auf einer Website verursachte Bewegung (Navigation) durch die Seite. Die Anzahl der Hits kann registriert (geloggt) werden und dient dazu, die Beliebtheit einer Website zu messen. (Anmerkung der Übersetzerin) *10 Josephine Bosma, zitiert aus einer Korrespondenz mit Olia Lialina, ibid. *11 Inke Arns, in Update 2.0, Medien Kunst aktuell aus Deutschland, Goethe Institut, ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe, 2000. *12 "A smart artist makes the machine do the work!" - der Slogan des Netzkunstgenerators. (Anmerkung der Übersetzerin) *13 Zitiert aus einer E-mail der Künstlerin an die Autorin, datiert Februar 2003. *14 Interview von Tilla Telemann mit Cornelia Sollfrank, "Hacker sind Künstler - und manche Künstler sind Hacker", in Jahrbuch '98/99, netz.kunst, Verlag für moderne Kunst Nürnberg 1999. *15 Friedrich Kittler, Museums on the Digital Frontier, in The End(s) of the Museum, Fondacion Antoni Tapies, 1995 (dt. Ü.: C. Sollfrank) *16 Hier eine Auswahl: Walker Art Center, The Tate, Dia Foundation, MOMA, Whitney Museum of American Art, SFMoMA... Teilweise als Bestandteil neuer Ausstellungen, z.B. Biennalen, teilweise innerhalb eines eigenen Programmes. *17 Während einer Präsentation in De Balie, Amsterdam, über Netzkunst und Kunstkritik, Januar 2002. *18 Das ist für sich genommen bereits eine faszinierende Thematik, man denke zum Beispiel an die Zensur, die durch die Technologie-Sponsoren der Museen ausgeübt wird. *19 Bei der Debatte um rhizome geht es größtenteils um diese Thematik. *20 Steve Dietz, in seinem Essay From Signal to Noise www.walkerart.org/gallery9/dietz *21 in einem Beitrag auf der Mailingliste CREAM, 19.April, 2002 *22 Cox, Mc Lean, Ward, The Aesthetics of Generative Code, 2000, www.generative.net/papers/aesthetics *23 Kuratiert von Tom Trevor und Geoff Cox ist die Ausstellung durch die Spacex Gallery in Exeter, die Liverpool Bienniale und die Firstsite Gallery in Colchester getourt. *24 Auszug aus der Presseerklärung der Ausstellung. *25 Lev Manovich, Projektbeschreibung zu Soft Cinema, 2002 *26 Aus einer Unterhaltung über die Konzeption der Ausstellung über Datenbanken Pretty Good Access, Regina, Canada, Dezember 2001. *27 Die Anzahl von Kunstprojekten, die auf der Softwarwe carnivore laufen, sind ein gutes Beispiel.