female extension, Netzkunstgenerator
Projektbeschreibung
Cornelia Sollfrank
Im Februar 1997 schrieb die Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle als erstes Museum der Welt einen Wettbewerb für Netzkunst aus. Unterstützt wurde die Aktion von Philips, Der Spiegel und Spiegel Online. Der Name des Wettbewerbs lautete EXTENSION, Erweiterung. Gemeint war damit die Erweiterung des Museums in den virtuellen Raum. Das Museum stelle sich die Frage, wie seine traditionellen Leitsätze Sammeln, Bewahren, Vermitteln und Forschen im Hinblick auf das Internet neu zu denken sind, welche Beziehung Internet und Museum eingehen können.

Die Ausschreibung von Extension machte deutlich, dass nicht Kunst im Netz gefragt war, sondern Netzkunst. Nicht traditionelle Werke sollten in digitaler Form präsentiert werden, sondern künstlerische Arbeiten, die in der bildenden Kunst geläufige Begriffe, wie "Material" und "Gegenstand" auf das Internet übertragen. Damit traf die Hamburger Kunsthalle 1997 genau den Geist der Zeit. Allerorten griff die etablierte Kunstwelt die neue Kunstform auf und bemühte sich, mehr oder weniger "artgerecht" damit umzugehen (ein eher schlechtes Beispiel war die dokumenta X).

Mit ihrem Experiment begab sich die Galerie der Gegenwart auf ein unsicheres Terrain, sicherte sich aber gleichzeitig die Aufmerksamkeit eines weltweiten Publikums. Man wollte sich den neuen Herausforderungen stellen, aber auch das Publicity-Potential eines Hypes nutzen und bestenfalls Entdecker und Förderer einer neuen Kunst sein. Aber diese stellte - und tut dies immer noch - den Kunstbetrieb vor große Probleme: Mit sinnvollen Lösungen für ihre Präsentation in einem realen Raum wird immer noch - wenig erfolgreich - experimentiert. Und die Digitalität sowie alle damit verbundenen Eigenschaften haben sich als sperriger für den Markt erwiesen als so manche ungreifbare Idee aus der Fluxus- oder Konzeptkunst. Hinzu kommt eine traditionelle Angst vor Neuen Medien bei Kunstvermittlern und Kuratoren, fühlen diese sich doch in einen Kontext katapultiert, der ihnen unbekannt ist und sie zu tiefst verunsichert. Zeigt sich ihr Expertentum als unzulänglich, rächen sie sich nicht selten an dem, was ihre Grenze markiert.

Anders in der Hamburger Kunsthalle: Trotz des Wissens um die eigene Unerfahrenheit wagte man den Wettbewerb: Ein mutiger und gleichzeitig anmaßender Schritt. Größtes Vertrauen setzte man dabei auf die Jury aus erfahrenen Experten. Doch leider begannen die Probleme schon bei den Teilnahmebedingungen. Eine der Bedingungen war es, dass die Projekte der sich bewerbenden Künstler auf den Rechner der Kunsthalle überspielt werden mussten. Was konnte da übrig bleiben von Arbeiten, die auf Kommunikation, Austausch, Eingreifen der Betrachter angelegt sind und sich in einem permanenten Prozess der Veränderung befinden, die selten unabhängig von anderen Sites existieren und auf ein weitreichendes System von Verknüpfung angewiesen sind? Bereits durch die Ausschreibung hatte die Kunsthalle, ohne es zu bemerken, damit begonnen, eine neue Kunstform in alte Kategorien von Werk und Autor zu pressen, denen viele NetzkünstlerInnen so gerne entkommen wären.

Mein Beitrag des Wettbewerbs versuchte aber zumindest hinzuweisen auf das Potential des neuen Mediums, von dem die Veranstalter so wenig ahnten. Cornelia Sollfrank erfand über 200 internationale Netzkünstlerinnen für den Wettbewerb. Die Namen waren sieben verschiedenen Nationen zuzuordnen und hatten alle nicht nur vollständige Adressen mit Telefonnummern, sondern auf unterschiedlichen Servern auch funktionierende Email-Adressen. Ca. 200 davon meldete sie für den Wettbewerb an und bekam für jede ein Passwort. Die Hamburger Kunsthalle freute sich über den großen Zuspruch und verlautbarte in einer ersten Presseerklärung vom 3.Juli 1997: "280 Anmeldungen - Zwei Drittel sind Frauen". Diverse Printmedien griffen diese Meldung auf und verbreiteten damit das Erstaunen und die Freude über die ungewöhnlich hohe Beteiligung von Frauen.

Im nächsten Schritt galt es, Netzkunst in entsprechender Quantität herzustellen. Unter Zuhilfenahme eines Computer-Programmes, das über Suchmaschinen beliebiges HTML-Material im WorldWideWeb sammelte und diese Daten automatisch in neuen Seiten rekombinierte, wurden 127 Netzkunst-Projekte generiert. Versehen mit einem passenden Projektnamen überspielte die Künstlerin die Projekte auf den Server des Museums. Wieder drückte das Museum große Zufriedenheit in einer Presseerklärung aus:"Insgesamt lagen bis zum Einsendeschluß am 30.Juni 120 Megabyte Kunst im Internet vor. 96 Teilnehmer kamen aus Deutschland, 81 aus den Niederlanden, 28 aus den USA, 27 aus Slowenien und 26 aus Österreich".

Ausser der statistisch erhöhten Wahrscheinlichkeit, mit dieser Aktion einen Preis zu gewinnen, nahm Cornelia Sollfrank mit female extension das Thema des Wettbewerbs "Internet als Material und Gegenstand" besonders ernst. Ihre Bemühungen führten aber nur teilweise zum Erfolg - einen Preis zumindest konnte sie nicht gewinnen mit der automatisch generierten Netzkunst. Obwohl zwei Drittel der BewerberInnen Frauen waren, gingen die drei Geldpreise an männliche Künstler.

Jedenfalls hatte die Jury, bestehend aus Prof. Dr. Uwe M. Schneede, Rainer Wörtmann, Dellbrügge & deMoll, Prof. Valie Export und Prof. Dr. Dieter Daniels keine leichte Aufgabe. Sie wunderte sich über die scheinbar sinnlose Datenschwemme und konnte kein System dahinter erkennen. Bis zur Preisverleihung hatte niemand die Intervention als solche entdeckt. Gleichzeitig mit der Bekanntgabe der Gewinner, zwei Tage vor der Preisverleihung, veröffentlichte Sollfrank eine Presseerklärung, die ihren Beitrag aufdeckte.

Credits:
female extension hätte niemals ohne die begeisterte und kompetente Unterstützung eines ganzen Netzwerkes stattfinden können.
An dieser Stelle sei gedankt: Konrad Becker und Herbert Gnauer (t0.netbase, Wien), Wolfgang Staehle und Gisela Ehrenfried-Staehle (The Thing, New York), Heath Bunting, Rachel Baker und Steve Mynott (irational.org, London), Luka Frelih (ljudmila.org, Ljubljana), Neil de Hoog und Andreas Broeckmann (V2, Rotterdam), Geert Lovink (Digitale Staad Amsterdam), Michael van Eeden (Society for Old and New Media, Amsterdam), Rob Bank und Walter van der Cruijsen (desk, Amsterdam), Barbara Aselmeier (Internationale Stadt Berlin), Tilman Baumgärtel, Karl Heinz Jeron (sero.org, Berlin), Knut Johannsen (surver.net, Hamburg).


A smart artist makes the machine do the work, Netzkunstgenerator
Projektbeschreibung
Cornelia Sollfrank
Die Netzkunstgeneratoren sind Computerprogramme, die nach Eingabe eines Titels und eines (Künstler-)Namens im Internet vorhandenes Material sammeln und zu einem neuen Werk rekombinieren. Der eingegebene Titel dient dabei als Suchbegriff. Über ein WWW-Interface können die Programme leicht bedient werden. Die Ergebnisse werden online in einem Archiv gespeichert und stehen zum freien Download zur Verfügung. Seit 1999 entstanden in Zusammenarbeit mit sechs Programmierern fünf unterschiedliche Versionen: nag_01 bis nag_05. Einen Vorläufer des Netzkunstgenerators habe ich im Rahmen von female extension eingesetzt. (siehe vorangehende Beschreibung).

Obwohl die Aufgabenstellung des Netzkunstgenerators auch unter Einsatz einer anderen Programmiersprache gelöst werden könnte, entschieden sich alle Programmierer/-innen für die Programmiersprache PERL. Ein Grund hierfür mag sein, dass PERL im Hackerumfeld, dem die Pogrammierer/-innen der nags entstammen, besonders beliebt ist, weil es sich dabei um freie Software handelt bzw. damit kompatibel ist und ausserdem im "Comprehensive Perl Archive Network" (CPAN) eine große Anzahl von fertigen Modulen vorhanden ist, die als Grundbausteine für den Netzkunstgenerator verwendet werden können.

Der erste Netzkunstgenerator nag_01 entstand 1999 und wurde in Zusammenarbeit mit Ryan Johnston vom Banff Media Center in Kanada entwickelt. nag_01 lädt ein oder mehrere geeignete Bilder in den Hintergrund und legt mehrere Schichten von Text und einzelne andere Bilder darüber. Als Resultat bekommt man eine neue Website, die die Anmutung einer Grafik besitzt.

nag_02 entstand im selben Jahr und wurde von dem slowenischen Hacker und Programmierer Luka Frelih auf meine Anregung hin in Anlehnung an Andrew Bulhaks Dada-Engine gestaltet. Das sehr komplexe PERL-Script, das sich durch die kreative Erfindung neuer Wörter und Wortkombinationen und einen eher sparsamen Einsatz von Bildern auszeichnet, benötigte von der Eingabe des Suchbegriffs zur Fertigstellung bis zu 30 Minuten. Die neu enstandene Website besteht aus einer Vielzahl von einzelnen, miteinander verlinkten Seiten. Diese Version ist seit 2002 außer Betrieb; die Funktionsweise ist aber noch durch im Archiv zugängliche Werke nachvollziehbar.

nag_03 wurde im Jahr 2000 von den Hamburger Hackern Barbara Thoens und Ralf Prehn entwickelt. Das im Vergleich zu den anderen Netzkunstgeneratoren eher einfache Programm verarbeitet hauptsächlich Bilder, die unverändert aneinander gereiht werden und zeichnet sich durch große Zuverlässigkeit und Stabilität aus.

nag_04 ist ein Programm, das nur mit Bildern arbeitet und das Material zur Weiterverarbeitung ausschliesslich von der Google Bildersuchmaschine bezieht. Zusammen mit dem Programmierer Panos Galanis von der Hamburger Firma iap entwickelte ich 2003 diese Programmversion, die Teile der gefundenen Bilder manipuliert und in einem zufalls-gesteuerten Collageverfahren zu einem neuen Bild zusammenbaut. Die Bildverarbeitung findet serverseitig unter Anwendung von ImageMagick statt. Dieser Netzkunstgenerator war eine Auftragsarbeit für die Kunstsammlung der Volksfürsorge Versicherungen und ist nun Teil der Sammlung.

nag_05, von seinem Programmierer Richard Leopold auch moiNAG genannt, entstand ebenfalls im Jahr 2003 und besitzt strukturelle Ähnlichkeit mit dem nag_02. Diese Programmversion lehnt sich ebenfalls an die Dada-Engine von Bulhak an und konzentriert sich auf die Verarbeitung von Texten, obwohl durchaus auch Bilder in die neu entstehenden Webseiten eingebunden werden können. Zum "Schreiben" der neuen Texte werden Markov-Ketten eingesetzt. Ein besonderes Feature von nag_05 besteht darin, aus den HTML-Formatierungen der verarbeiteten Webseiten die Formatierung der neuen Seite zu errechnen.

Seit 2003 stehen alle Netzkunstgeneratoren unter der GPL (Gnu General Public License) und können von der Website heruntergeladen werden.

http://soundwarez.org/generator

Mein besonderer Dank gilt den Programmierer/-innen für ihre Begeisterung und ihr Engagment.